Zweifel an Studien zu Glücksspiel – Minister Karl Lauterbach in der Kritik

Massive Zweifel an Glaubwürdigkeit und Transparenz des Glücksspiel-Surveys erschüttern gerade das Bundesgesundheitsministerium. Wie die Tageszeitung Welt berichtet, gebe es unter Oppositionspolitikern und Experten „angesichts der krassen Ergebnisse inzwischen heftige Zweifel“, ob die Zahlen so gelten können. Der Grund: Die Zahl der Spielsüchtigen soll sich demnach plötzlich verdreifacht haben. Die Zahl der Menschen mit „problematischem Spielverhalten“, einer Vorstufe der Sucht, hat sich demnach sogar verzehnfacht. Ging das Ministerium 2019 noch von rund 0,7 Prozent der Bevölkerung aus, kommt die jüngste Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf acht Prozent in der Altersgruppe der 18- bis 70- Jährigen. „Im Verdacht steht die wissenschaftliche Güte der Erhebung und vor allem das BMG selbst – schon die Vergabe des Studienauftrags wirft Fragen auf“, schreibt die Welt weiter.

Wollte Minister Lauterbach bewusst andere Studienmacher?

Hintergrund ist ein Auftragswechsel bei den Machern der Studie, auf der diese krassen Zahlen beruhen. Bis 2019 war die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für die Erstellung des alle zwei Jahre erscheinenden Glücksspiel-Survey zuständig. Derzeit sind das Hamburger Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und die Universität Bremen zuständig. Und das wohl auf Betreiben des Bundesgesundheitsministers selbst, wie die Welt schreibt. „Schon im November war das BMG mit einem viel beachteten ‚Glücksspielatlas‘ vor die Öffentlichkeit getreten, einer groben Übersicht über die Ergebnisse der Sucht-Untersuchung. Das Papier stützt sich auf den letzten ‚Glücksspiel-Survey‘, der alle zwei Jahre erscheint. Die regelmäßige wissenschaftliche Erhebung der Spielsucht in Deutschland war bis 2019 noch Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gewesen, die jetzt aber auf Wunsch von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor der Auflösung steht. So wanderte der Auftrag an das Hamburger Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und die Universität Bremen weiter, in deren Obhut nun der offizielle ‚Glücksspiel-Survey‘ erscheint“, berichtet die Zeitung.

„Wissenschaftlich fragwürdig“

Für „wissenschaftlich fragwürdig“ hält Statistikerin Katharina Schüller die Methodik der Studienmacher aus Hamburg und Bremen. In einem ausführlichen Interview mit games & business erklärte Schüller bereits in unserer Oktoberausgabe des vergangenen Jahres, der Glücksspiel-Survey 2021 „vermittelt seinen Lesern eine Daten- und Erkenntnissicherheit, die schlicht nicht gegeben und wissenschaftlich fragwürdig ist“. Wie die Welt weiter ausführt, zieht die Kritik an der Glaubwürdigkeit der vom BMG präsentierten Zahlen nun immer weitere Kreise. „So haben das Hamburger ISD und die Uni Bremen ihre Anträge auf Förderung für den „Glücksspielatlas“ zwar erst im August 2023 eingereicht. Fertig gestellt war der Glücksspielatlas dann aber überraschend schnell. Schon im November, nur drei Monate nach dem offiziellen Antrag, hatte das BMG die Ergebnisse parat. Für die rekordverdächtig flinke Forschung kann Lauterbachs SPD-Parteifreund Blienert eine plausible Erklärung liefern“, heißt es in der Zeitung.

Weiterer Vergabeskandal?

Blienert habe bereits 2022 bei der Jahrestagung des Fachverbands Glücksspielsucht geäußert, das BMG habe den Glücksspielatlas „auf seine Bitte hin beim ISD in Auftrag gegeben“, schreibt die Welt weiter. Auf die Frage, warum das Ministerium den Glücksspielatlas nicht ausgeschrieben habe, habe ein Sprecher geantwortet, sein Haus habe die 134.240 Euro Förderung als „Zuwendung“ vergeben. Als Grund dafür sei das „Alleinstellungsmerkmal“ der Institute genannt worden. Unterhalb einer Fördersumme von 140.000 Euro sei das Ministerium zwar rechtlich nicht zu einer Ausschreibung verpflichtet, schreibt die Welt. Die Frage, worin die besondere Eignung der Hamburger und Bremer Forscher bestehe, sei jedoch unbeantwortet geblieben.

Auswahl genug hätte es gegeben. Unter Berufung auf die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) beschäftigen sich mehr als zehn deutsche Institute mit Glücksspielforschung, beispielsweise auch die Berliner Charité, informiert die Welt. Außerdem berichtet das Blatt von früheren Ungereimtheiten um Dr. Tobias Hayer (Uni Bremen). „Obendrein stand der Studienleiter und Chef des Bremer Instituts Tobias Hayer schon einmal im Mittelpunkt eines staatlichen Vergabeskandals. 2021 wollte die frisch geschaffene GGL die Wirkung des neuen Glücksspielstaatsvertrags mittels einer Evaluation überprüfen. Leiter der Untersuchung: Hayer. Schon damals musste er keine besondere Überzeugungsarbeit für den 750.000-Euro-Auftrag leisten: Bei der europaweiten Ausschreibung war er der einzige Bieter.“

Politischer Druck

Der politische Druck auf das Bundesgesundheitsministerium wächst, wie hier in einem Filmbeitrag der Welt erläutert wird. „Das BMG verstrickt sich fortlaufend in Widersprüche“, wird CDU-Suchtexpertin Simone Borchardt von der Welt zitiert. „Der Verdacht liegt nahe, dass hier schon im Vornherein Absprachen zwischen Studienerstellern und dem BMG getroffen wurden. Das lässt für mich erhebliche Zweifel an der Neutralität der Studie aufkommen.“ Borchardt hält den Glücksspielatlas für fragwürdig. „Es ist für mich offensichtlich, dass hier nicht sauber gearbeitet wurde. Im Sinne der wissenschaftlichen Transparenz müssen die Daten veröffentlicht werden.“ Der krasse Anstieg der Zahlen sei nicht mit Sondereffekten durch die Coronapanemie erklärbar. In der Welt zieht Borchardt eine Parallele zu der „StopptCovid“-Studie des Robert-Koch-Instituts, die die Coronamaßnahmen des BMG nachträglich für gut befunden habe. Auch in diesem Fall habe das Bundesgesundheitsministerium die Studie ohne Ausschreibung vergeben. „Dass nun der Verdacht aufkommt, nur opportune Forschungsergebnisse dürften an die Öffentlichkeit, ist bildgebend für diese Gesundheitspolitik“, so Borchardt in der Welt.

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