Stefan Dreizehnter
16.11.2023
Zeit für mich
Die „Wissenschaftliche Studie zur Spielmotivation und Spielfreude an Geldspielgeräten”, vorgelegt von Prof. Dr. Jens Junge vom Institut für Ludologie, birgt erhebliches politisches Potenzial. Auch wenn die Autoren die Grenzen ihrer Untersuchung deutlich hervorheben und in ihr vor allem einen Impulsgeber für weitere Forschung sehen, so ist eine Botschaft ziemlich klar: Falsche regulatorische Maßnahmen für das Geldspiel stören die Spielfreude vieler Menschen und treiben sie zum illegalen Spiel.
Diese Botschaft ist so deutlich, dass man auf eine ganze Reihe anderer Ergebnisse der Studie aufpassen muss, damit sie nicht untergehen. Geforscht wurde nach den Motiven für das Spiel am Geldspielgerät. Da ist es nicht so überraschend, wenn an erster Stelle eben die Lust am Spiel und die Aussicht auf einen Geldgewinn steht. Dass Spielgäste nach Spannung suchen, ergibt sich auch irgendwie von selbst. Aber das ist nicht alles. Es gibt auch Überraschungen. So erscheint an prominenter vierter Stelle als Grund für das Spiel am Automaten: „Zeit für mich”. Wer hätte das gedacht – und das auch noch in einer kundenseitig Männer dominierten Branche.
Diese Botschaft ist politischer, als sie aussieht. Denn die Zeit für sich finden die Kunden ja nicht im isolierten Raum. Wie die Studie zeigt, mögen sie die „Atmosphäre in Spielhallen”. Deren „Ambiente” wird offenbar gezielt gesucht zum „Ausgleich vom Alltag” und zur „Knüpfung von sozialen Kontakten”. Das alles sind prominente Gründe in eine Spielhalle zu gehen. Und die rangieren laut Studie sehr nah an den Motiven Spiellust und Gewinnaussicht. Die Spielhalle ist für ihre Besucher ganz offensichtlich ein sozialer Raum, der einen deutlich größeren Zweck erfüllt als nur das Spiel. Damit ist das Spiel selbst als Katalysator für soziale Kontakte offenbar nicht zu unterschätzen. Hier grüßt die Stammkneipe, die angeblich aus der Mode gekommen ist – aber das Bedürfnis danach offensichtlich nicht. Die Spielhalle springt hier ein.
Über die Gäste in Spielhallen entsteht auf wissenschaftlicher Basis ein völlig anderes Bild als das vom ausschließlich pathologischen Problemfall, der einsam zockt und vor sich selbst geschützt werden muss. Das ist die Story, die der Politik aus der immer gleichen Richtung und in der immer gleichen Absicht seit vielen Jahren erzählt wird und dort allzu oft kritiklos übernommen wird. Es wird höchste Zeit, hier für den begründeten Zweifel zu sorgen, der irgendwann für eine differenzierte Haltung sorgen kann. Der Politik müssen Wege aus der wissenschaftlichen und intellektuellen Einbahnstraße gezeigt werden, in der sie in Sachen Automatenspiel seit vielen Jahren gefangen ist.
Die Junge-Studie liefert dafür den längst überfälligen und vor allem seriös-wissenschaftlichen Impuls. Den auszubauen ist dringend geboten – übrigens nicht nur aus politischen Motiven. Hand aufs Herz: Wie viele Unternehmer hätten gedacht, dass „Zeit für mich” ein ganz wichtiges Motiv für den Besuch ihrer Kunden ist? Und was – außer dem Spielangebot – wird dafür getan, diese Wünsche zu befriedigen? Gleich nach der Forderung nach einem attraktiveren Spiel muss aus der Branche die Forderung kommen, nicht mehr durch Gesetze daran gehindert zu werden, gute Gastgeber in attraktiven Spielhallen zu sein. Die Junge-Studie zeigt, wie nötig und berechtigt das ist. Das sind wir unseren Kunden schuldig.
Stefan Dreizehnter
Chefredakteur games & business
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