Verfassungsgerichtshof kippt Auswahlpraxis 

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 2. März 2023 die bisherige behördliche und gerichtliche Praxis der Auswahlentscheidung zwischen konkurrierenden Spielhallen als verfassungsrechtlich unzulässig gekippt.

Dieses Ergebnis hat ein von den Rechtsanwälten Marcus Röll (Foto rechts) und Dr. Roland Hoffmann LL.M. der auf Glücksspielrecht spezialisierten Kanzlei Benesch Rechtanwaltspartnerschaft mbB geführtes Verfassungsbeschwerdeverfahren. Die bisherige behördliche und gerichtliche Praxis der Auswahlentscheidung zwischen konkurrierenden Spielhallen sei „als verfassungsrechtlich unzulässig gebrandmarkt”, schreibt die Kanzlei in einer Pressemitteilung.

Wie es weiter heißt, „werden die vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim in einer Vielzahl von Entscheidungen entwickelte sogenannte Zäsur-Rechtsprechung in ihrer bisherigen Ausprägung, aber auch der Baden-Württembergische Sonderweg der Prüfungsreihenfolge Härtefall- vor Auswahlentscheidung in Spielhallensachen als verfassungswidrig verworfen. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für einen Großteil der Branche in Baden-Württemberg und einer Vielzahl anhängiger Verfahren.

Benesch und Winkler fassen die Kernpunkte wie folgt zusammen:

1. Prüfungsreihenfolge Härtefall vor Auswahl ist verfassungswidrig!

Bisherige Praxis der Erlaubnisbehörden war es, zunächst zu prüfen, ob einem Spielhallenbetreiber ein Härtefall nach § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG zu gewähren ist. Wenn dies der Fall gewesen war und der betreffende Betrieb mit einem anderen Spielhallenbetrieb im 500-Meter-Umkreis, der keinen Härtefall vorweisen konnte, konkurrierte, sollte sich nach Ansicht der Behörden der Betrieb mit der Härtefallerlaubnis stets durchsetzen, ohne dass es einer weiteren Auswahlentscheidung bedurft hätte.

Dem schob der Verfassungsgerichtshof nun einen Riegel vor.

Mit dieser von Beginn an kritisierten und angegriffenen Vorgehensweise, die den Behörden durch das Wirtschaftsministerium vorgegeben worden war, ist jetzt Schluss. Wie der Verfassungsgerichtshof entschieden hat, verletzt diese gesamte bisherige Prüfungsreihenfolge das Recht der Betreiber auf einen chancengleichen Zugang zu einer begrenzt zugänglichen beruflichen Tätigkeit aus Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. „Wenn mehrere Spielhallenbetreiber um die Erteilung einer Spielhallenerlaubnis wegen des Mindestabstands von 500 m (§ 42 Abs. 1 LGlüG) räumlich konkurrieren, ist eine den grundrechtlich geschützten Interessen gerecht werdende Auswahlentscheidung erforderlich“, so der Verfassungsgerichtshof des Landes. Die Erteilung einer Härtefallerlaubnis entbindet die Behörde nicht von der verfassungsrechtlich gebotenen Durchführung eines Auswahlverfahrens zwischen den miteinander konkurrierenden Spielhallen.

2. Bisherige „Zäsur-Rechtsprechung“ des Verwaltungsgerichtshofs ist passé!

Weiter wurde die vom 6. Senat des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entwickelte sogenannte „Zäsur-Rechtsprechung“ als nicht mehr mit den Grundrechten vereinbar verworfen.

Dabei geht es um die Frage, ob Altspielhallen, also solchen, die bereits vor dem Inkrafttreten des LGlüG über eine Spielhallenerlaubnis (nach § 33i GewO) verfügten, im Rahmen einer zu treffenden Auswahlentscheidung das Bestehen von Kinder und Jugendeinrichtungen entgegengehalten werden kann.

Der Landesgesetzgeber hatte mit § 51 Abs. 5 LGlüG geregelt, dass dieser Abstand nicht für „zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des (Landesglücksspiel-)Gesetzes (2012)“ gemäß § 33i GewO erlaubte Spielhallen gelten solle. Den Wortlaut der Regelung legte der für Spielhallen zuständige 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in seiner sog. Zäsurrechtsprechung verfassungswidrig dahingegen aus, dass die Spielhallen keine „Erlaubniszäsur“ aufweisen durften, d.h. eine lückenlose Erlaubnishistorie seit 2011 vorweisen mussten. Jede auch nur minimale Unterbrechung, z.B. auch wenn der Betreiber – aus welchem Grund auch immer – nur für einen Tag keine behördliche oder gerichtliche Duldung oder Erlaubnis hatte und seine Spielhalle geschlossen war, führte zu solch einer Zäsur. Sobald eine Spielhalle keinen „nahtlosen Betrieb“ vorweisen konnte, sollte dieser bei der Auswahlentscheidung von vornherein ausgeschlossen sein, wenn ihm das Bestehen einer Kinder- und Jugendeinrichtung entgegenzuhalten sei.

Der Verfassungsgerichtshof des Landes stellte nun klar, dass, wenn sich ein Betreiber um eine Erlaubnis kümmert, d.h. rechtzeitig vor Ablauf seiner bisherigen Erlaubnis einen Antrag auf Erteilung einer Neuerlaubnis stellt, dieser auch unter den Schutzbereich des § 51 Abs. 5 LGlüG fällt. Die Verfassungsrichter machten damit – entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs deutlich –, dass Altbetreiber unabhängig von einer Duldung oder kurzfristigen Betriebseinstellung auch weiterhin nicht als „Neubetreiber“ gelten und gegen diese auch das Abstandsgebot zu Kinder- und Jugendeinrichtungen nicht als absoluter Ausschlussgrund entgegenzuhalten ist. Die bisher durch die Rechtsprechung des 6. Senats des Verwaltungsgerichtshofs ausgelöste Verlagerung der äußerst komplexen Auswahlentscheidungen in Eilverfahren zur Duldung von Spielhallen ist damit ebenfalls als verfassungswidrig postuliert.

Ergänzend wird auf die umfangreiche Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Baden-Württemberg und die Urteilsgründe des Gerichts verwiesen.