Manfred Schlösser
15.05.2023
Ende und Anfang
Der spanische Philosoph Miguel de Unamuno hat es schon vor über 100 Jahren klug formuliert: „In jedem Ende liegt ein neuer Anfang“. Oder man kann auch sagen: „Wo eine Tür zugeht, geht auch meist eine neue wieder auf“ – wenn man es denn auch will. Der Deutsche Automaten-Großhandels-Verband (DAGV) hat beide Sprichwörter auf seiner jüngsten und gleichzeitig letzten Mitgliederversammlung in die Tat umgesetzt. Mit einem finalen Dreisprung hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert, sich aufgelöst und beschlossen, mit dem verbleibenden Verbandsvermögen eine Stiftung zu unterstützen. Der Großhandel hat damit gezeigt, dass er immer noch reich an Ideen und Innovationen ist. Wie sonst hätte er auch so viele Jahre in einer solch volatilen Branche wie der Automatenwirtschaft überleben und sinnvoll wirken können.
Jüngere Zeitgenossen werden das „volatil“ nicht ganz nachvollziehen können, sind sie doch in einer Zeit groß geworden, in der das Geldspielgerät die Branche dominiert. Dass dies einmal ganz anders war, davon zeugen heute nur noch Geschichten an Stammtischen, Artikel in alten Zeitschriften und Ausstellungsobjekte in Automatenmuseen.
Lassen wir den Film einmal rückwärts laufen: Es waren die Automatengroßhändler, die in den 50er- und 60er-Jahren und noch bis weit in die 80er hinein die Branche mit Innovationen aus den USA, später auch aus Japan und anderen Ländern Asiens, mit Neuheiten versorgt haben. Wer sich noch an die Messen in diesen Jahren erinnert, der weiß, dass die IMA nur so strotzte vor Musikboxen und Flippern, vor Videogames und Fahrsimulatoren. Später kamen lange Reihen von Darts und eine Vielzahl von Nischenprodukten hinzu. Die IMA war das Schaufenster einer absolut bunten Branche. Tage vor jeder Messe spekulierten die Medien, was wohl Neues aus Asien und Übersee zu sehen sei. Der Handel war gleichzeitig Logistikdrehscheibe und Motor der Automatenwirtschaft.
Das ist lange her. Bei einem meiner ersten Termine in der Automatenwelt lernte ich diese „Motoren“ und „Drehscheiben“ fast alle kennen: Heinz Kästner, Franz Derigs, Goswin Reichert, Hans Rosenzweig, Horst-Josef Meurer, Edeltraut Küpper und Max Walberer. Sie waren die Fürsten der Zeit.
Aber nichts ist für die Ewigkeit. Wie in vielen anderen Branchen konsolidierte und konzentrierte sich die Kundschaft, also die Aufstellerschaft. Es entstanden Spielhallen und Spielhallenfilialisten. Damit erstarkte die Industrie, gründete eigene Handelsunternehmen oder kaufte florierende Großhändler auf und wurde selbst international.
Aus der Logistikdrehscheibe wurde eher das Scharnier zwischen Industrie und Aufstellunternehmern. Wenn es in diesem Scharnier knirschte, dann musste das Ölkännchen her und zwar in Form von Diplomatie, von Ausgleich, von Rat und Tat – nicht umsonst bekam der DAGV bald den durchaus anerkennenden Beinahmen: FDP der Branche. In dieser neuen Definition war der Verband viele Jahre durchaus wichtig, gar systemrelevant.
Wer viele Jahre Forum und DAGV erlebt hat, dem tut es schon leid, dass mit ihnen sicher auch ein Stück organisierte Meinungsvielfalt verschwunden ist. Es wird die Aufgabe der heutigen Dirigenten der Branche sein, dass diese Vielfalt in anderer Form erhalten bleibt und neu belebt wird. Denn wir wissen: Vielfalt ist Herausforderung, aber auch Schlüssel zum Erfolg zugleich. Nicht immer bequem, aber immer zielführend.
Allen Großhändlern wünsche ich, dass sie Ideen und Meinungsvielfalt an anderer Stelle in die Branche einbringen – wir würden Euch sonst sehr vermissen.
Manfred Schlösser
Verleger games & business
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